Kulturkreis Meerbusch

Artikel nach Datum gefiltert: Mittwoch, 14 September 2022

Der Meerbuscher Kulturkreis bot eine zweitägige Studienreise nach Kassel an. Beim Besuch der viel diskutierten documenta fifteen konnten sich die 32 Teilnehmer selbst eine Meinung bilden. Die documenta, die von dem indonesischen Künstlerkollektiv ruangrupa kuratiert wurde, steht ganz im Zeichen von Nachhaltigkeit, Kollektivität, gemeinschaftlichem Ressourcenaufbau und gerechter Verteilung. Die Kunstwerke mit antisemitischen Inhalten waren zum Zeitpunkt der Reise bereits abgehängt. Die ausstellenden Künstler-Kollektive stellten für viele der Reiseteilnehmer*innen ein ziemlich forderndes Universum von Kunst dar.

Die Organisatorinnen Christa Ahrens-Wilke und Sigrid Müller-Emsters hatten aber auch weitere Sehenswürdigkeiten in das Reiseprogramm aufgenommen. Es wurden zeitgenössische Kunst und historische Highlights besichtigt.
Die Grimmwelt, die ebenfalls Standort der documenta fifteen ist, wurde besucht und für Interessierte wurde ein Einblick in das Museum für Sepulkralkultur ermöglicht. Ein Besuch des Bergpark Wilhelmshöhe mit seinen grandiosen Wasserspielen gehörte ebenso dazu und wer Lust hatte, konnte noch die Ausstellungen im Schloss Wilhelmshöhe besichtigen.

Am Ankunftstag wurde in einem Restaurant in der Orangerie Lunch eingenommen. Die Orangerie bildet den Mittelpunkt des innerstädtischen Parks Karlsaue und stammt aus dem frühen 18. Jahrhundert. Ursprünglich war sie Wohn- und Lustschloss zugleich und ebenfalls ein Überwinterungsort für die Orangenpflanzen, die der Landgraf im Park aufstellen ließ. Während der Documenta in Kassel wird das Gebäude und die davor liegende Wiesenfläche häufig als Ausstellungsort genutzt und so konnten die Teilnehmer*innen bereits erste Eindrücke der documenta fifteen sammeln.

Die erste Kunstführung startete an der Orangerie mit einem geführten Rundgang zum Thema „Documenta Geschichte und Geschichten“, bei dem die in der Stadt von vergangenen Ausstellungen verbliebenen Kunstwerke im öffentlichen Raum betrachtet und hinsichtlich ihrer damals provokanten Aussage erläutert wurden.

Die große Karlswiese vor der Orangerie ist schon seit vielen Jahren ein wichtiger Ausstellungsort für die documenta. Hier fand 1955 jene Bundesgartenschau statt, in deren Rahmen Arnold Bode seine erste documenta konzipierte. In diesem Bereich befindet sich der Rahmenbau von Haus-Rucker-Co (1977). Diese begehbare Skulptur öffnet den Blick auf die benachbarte Orangerie in der Karlsaue und rahmt diese ein. Aber auch die Spitzhacke von Claes Oldenburg (1982) und die Idee di Pietra von Giuseppe Penone (2012) sind dort zu sehen. An der begehbaren Installation aus Müll „Return to Sender“ der aktuellen Ausstellung erläuterte die Stadtführerin die Idee der Nachhaltigkeit und die Kritik am Export von Müll in den Globalen Süden, der zur Zerstörung der Umwelt und der Ökonomie beiträgt. So muss z.B. gelieferte Altkleidung größtenteils vernichtet werden und das, was brauchbar ist, macht lokale Textilmanufakturen überflüssig.

Auch auf dem Friedrichsplatz haben einige documenta-Künstler ihre Spuren hinterlassen: So spenden zwei der 7000 Eichen - Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung von Joseph Beuys (1987) noch heute Schatten und „Die Fremden“ von Thomas Schütte (1992) auf dem Portikus eines Modehauses verkörpern weiterhin Ausgrenzung und fehlende Integration. Aktuell verweist Richard Bells „Aboriginal Embassy“ vor dem Fridericianum auf den Widerstand gegen koloniale Machtstrukturen. Eine digitale Anzeige an der Fassade des Museums zeigt den Betrag an, der sich seit 1901 aufgehäuft hat und den die australische Regierung den Aborigines schuldet.

Interessant war auch zu hören, dass einige Künstler erst durch die documenta bekannt geworden sind. So z.B. Christo, der 1968 5600 Kubikmeter Luft in einem Phallus aus Ballonseide eingepackt hatte. Oder Ai Weiwei, der 2007 eine fragile Skulptur aus alten chinesischen Holztüren und Fensterrahmen aufgebaut hatte.

Das aus dem Jahr 1779 stammende Fridericianum bildet traditionell den Mittelpunkt der documenta in Kassel. Bei einer Führung durch das Fridericianum mit einem „Sobat“, indonesisch „Freund“, erhielten die Teilnehmer*innen Einblick in die kreativen Ergebnisse verschiedener Kollektive, die u.a. die Unterdrückung der Roma und den Kampf der Frauen in Algerien thematisieren.

Auf der documenta fifteen wird das klassische Museum Fridericianum zur "Fridskul" und dort konnte auch ein ganz außergewöhnliches Projekt „Die Eltern und Kleinkinder Krippe", von Graziela Kunsch besichtigt werden. Dieser nach den Maximen der ungarischen Kinderärztin Emmi Pikler eingerichtete Raum soll Kleinstkindern die Möglichkeit eröffnen, sich selbst zu beaufsichtigen. Während die Eltern, wie die Künstlerin hofft, "vielleicht mehr von unseren Babys und untereinander lernen, als wir den Babys beibringen". Die Reise-Teilnehmer hatten die Möglichkeit diesen Projekt-Raum, der tagsüber für Besucher gesperrt ist, nach der Abholzeit der Kinder zu betreten. Auch im Fridericianum zu sehen, sind die ausdrucksstarken, farbenfrohen Gemälde und Installationen von Richard Bell, die sich mit der Emanzipation der indigenen Völker Australiens beschäftigen. In Kassel ist er eine der wenigen anerkannten Größen des weltweiten Kunstbetriebs. Formal knüpft Bell, der international ausstellt, an Pop-Art-Künstler wie Roy Lichtenstein an. Bei einigen der im Museum Fridericianum ausgestellten Werken, stellten sich die Teilnehmer*innen aber auch die Frage: Ist das Kunst oder politischer Aktivismus?

Der zweite Tag gehörte anderen Sehenswürdigkeiten in Kassel. Im Rahmen einer Führung wurde die GRIMMWELT, ein modernes multimediales Ausstellungshaus, besichtigt. Dieses Museum gab den Teilnehmer*innen einen umfassenden Einblick in das faszinierende Leben der beiden Grimms. Überrascht waren Einige, dass die Brüder nicht nur Märchensammler, sondern auch Sprachforscher waren. Jacob und Wilhelm Grimm begannen 1838 die Erarbeitung des „Deutschen Wörterbuchs“, das größte und umfassendste Wörterbuch deutscher Sprache.
Die Kunstreise endete mit einem Besuch auf der Wilhelmshöhe. Der mehr als zwei Quadratkilometer große Landschaftspark zu Füßen des Herkules ist als Weltkulturerbe anerkannt und der Herkules das Wahrzeichen der Stadt. Der Park entstand ab dem Jahr 1696 und enthält neben einem Netz aus Spazierwegen auch die Kaskaden der Wasserspiele, einige Zierbauten wie Tempel und die als Burgruine erbaute Löwenburg. Von den Wasserspielen, die die Reisegruppe am unteren Ende des Bergparks erleben konnte, waren alle begeistert. Die Wasserspiele basieren noch immer auf der jahrhundertealten Technik, funktionieren ausschließlich mit dem vorhandenen Gefälle und kommen daher ohne Pumpen aus. Von einem Speicherbecken mit 40.000 Kubikmeter Fassungsvermögen fließen pro Inszenierung 2100 m³ Wasser in gut einer Stunde den Berghang hinab und enden mit einer gewaltigen Fontäne im Schlossteich. Die Fontäne war ein besonders beliebtes Fotomotiv der Reisenden.

Einige Teilnehmer fanden dann sogar noch Zeit und Muße dem Schloss Wilhelmshöhe einen Besuch abzustatten. Das 1786 erbaute Gebäude ist der Standort der Antikensammlung und der Gemäldegalerie Alte Meister, die unter anderem für ihre große Sammlung von Werken von Rembrandt bekannt ist. Auch die Wechselausstellung „Op, Pop, Top! Tapeten der 70er Jahre“ begeisterte die Besucher.

Die Stadt Kassel selbst zeigte den Reisenden insgesamt sehr unterschiedliche Gesichter: Die Innenstadt besteht aus nicht besonders sehenswerter Architektur der Nachkriegszeit. Während einer Bombennacht im Jahr 1943 war der historische Kern Kassels, ein Standort der Rüstungsindustrie, beinahe komplett zerstört worden. Im heutigen Stadtbild finden sich jedoch auch Anklänge an die einstige Rolle Kassels als Residenzstadt von Landgrafen und Kurfürsten.
Auf der Rückfahrt war man sich einig: Kassel hat neben der documenta viel Schönes und Sehenswertes zu bieten.

Reiseleitung
Christa Ahrens-Wilke
Sigrid Müller-Emsters

 

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